Erhöhtes Pflegegeld für Pflegeeltern – Voraussetzungen und Durchsetzbarkeit
Gesetzlich ist vorgesehen, dass Pflegeeltern für die Betreuung eines Kindes in Vollzeitpflege einen monatlichen Pauschalbetrag, das sog. Pflegegeld, erhalten. Dieses spaltet sich auf in die materiellen Kosten und in einen Erziehungsanteil. Der Pauschalbetrag soll, unabhängig von den tatsächlich anfallenden Kosten, sämtliche entstehenden Kosten abdecken. Dieses pauschalierte Pflegegeld ist in aller Regel vom zuständigen Familienministerium festgesetzt (§ 39 Abs. 5 SGB VIII). Von dieser Festsetzung darf nach unten nicht abgewichen werden, es darf also nicht nur ein geringeres Pflegegeld ausgezahlt werden. Erlaubt ist hingegen die Bewilligung eines höheren Pflegegeldes. Gegebenenfalls, insbesondere bei besonderen Erziehungsanstrengungen und ähnlichen Gründen ist eine Pflegegelderhöhung sogar geboten. Dies ist auch im Gesetz so vorgesehen. Denn nach § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII soll abweichend vom monatlichen Pauschalbetrag ein höheres Pflegegeld gezahlt werden, wenn dies „nach der Besonderheit des Einzelfalles (…) geboten“ ist. Viele Jugendämter gewähren Pflegeeltern hier mitunter auch erhöhtes Pflegegeld. Oftmals wird dies jedoch auch versagt, obwohl ein Anspruch naheliegt. Wann genau ein Anspruch besteht, ist umstritten. In der juristischen Literatur (Wiesner, SGB VIII, Kommentar, § 39 Rdnr. 34) heißt es etwa hierzu:
„Ein solcher Einzelfall ist insbesondere anzunehmen, wenn etwa aus gesundheitlichen Gründen ein Mehrbedarf besteht und/oder die Anforderungen an Betreuung und Erziehung besonders hoch sind (z.B. besondere Belastungen oder erhöhte Sorgfaltspflicht bei HIV-infizierten Pflegekindern oder Kindern mit besonderen Schädigungen, z.B. durch sexuellen Missbrauch etc). Maßgeblich ist der Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall“
Leider gibt es nur wenige Gerichtsentscheidungen, welche die Voraussetzungen klären, wann Pflegeeltern ein erhöhtes Pflegegeld zusteht. Zum Teil liegt dies sicher daran, dass Pflegeeltern klagebefugt nur dann sind, wenn sie Vormund sind oder ihnen mindestens das Recht zusteht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen. Ist dies jedoch der Fall, kann ein erhöhtes Pflegegeld notfalls im Klagewege durchgesetzt werden.
Es gibt durchaus einige Entscheidungen, an denen Pflegeeltern sich orientieren können. Der Unterzeichner hat für eine Pflegefamilie etwa die Bewilligung eines doppelten Erziehungsanteiles im Pflegegeld vor dem Verwaltungsgericht Aachen durchgesetzt, nachdem das Jugendamt die Erhöhung zunächst abgelehnt hat.
Das Verwaltungsgericht Aachen führt in seinem Urteil vom 11.11.2008 (2 K 558/06) aus:
„Wird Hilfe nach den §§ 32 ff. SGB VIII gewährt, so ist auch der notwendige Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (§ 39 I 1 SGB VIII), der auch die Kosten der Erziehung umfasst (§ 39 I 2 SGB VIII). Dies geschieht durch Bewilligung des sog. Pflegegeldes (…). Die Pauschalbeträge setzen sich aus einer materiellen Komponente, mit der der Lebensunterhalt des Kindes bzw. des Jugendlichen gesichert werden soll, und den Kosten der Erziehung, also eines Anerkennungsbetrags für die erzieherische Tätigkeit der Pflegeeltern, zusammen. Mit diesem Pauschalbetrag sind somit die üblicherweise mit der Erziehung von Kindern, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen und dort erzogen werden können, verbundenen Belastungen abgegolten. Dies schließt nicht aus, dass in besonders gelagerten Einzelfällen mit einem besonderen Erziehungsbedarf eine Erhöhung dieser Komponenten des Pauschalbetrages verlangt werden kann.“
Zunächst folgt die Kammer der Auffassung des Bayerischen VGH, vgl. Urteil vom 10.11.2005 – 12 BV 04.1638- Juris, dass die Zahlung eines erhöhten Pflegegeldes nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil das Kind oder der Jugendhilfe hier nicht in einer Pflegestelle im Sinne des § 33 Satz 2 SGB VIII betreut wird, die die fachlichen Anforderungen an eine sozialpädagogische Pflegestelle erfüllt. Eine entsprechende rechtliche Voraussetzung, dass die Anerkennung eines abweichenden besonderen Erziehungsbedarfs nur in solchen Pflegefamilie in Betracht kommt, ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 39 IV 2 SGB VIII a.F. bzw. aus dem § 39 IV 3 SGB VIII, noch lässt er sich aus der Systematik des 4. Abschnitts des SGB VIII herleiten.
Nach der Rechtsprechung und allgemeiner Auffassung muss der besondere Bedarf des Einzelfalls (…) in der Person des Kindes oder Jugendlichen begründet sein (mwN). Bei der gesetzlichen Regelung, wann in Ansehung (der Besonderheit des Einzelfalls) abweichende Leistungen geboten ist, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt und nicht etwa um eine nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle (vgl. § 114 VwGO) unterliegende Ermessensentscheidung. Dabei teilt das Gericht im Ausgangspunkt die Auffassung des Beklagten, dass Kinder, die vom Jugendamt in einer Pflegefamilie untergebracht werden, verglichen mit den Kindern, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, meist einen erhöhten erzieherischen Bedarf haben. Dieser insoweit schon erhöhte erzieherische Bedarf ist somit der Regelfall, der mit dem regelmäßig zu zahlenden Pauschalbetrag abgedeckt ist. Es müssen deshalb weitere Besonderheiten im Einzelfall hinzutreten, um eine vom Pauschalbetrag abweichende Festsetzung des Pflegegeldes zu rechtfertigen. Ein derartiger Sonderbedarf, der zu einem anzuerkennenden erhöhten Pflege- und Betreuungsaufwand führen kann, ist zum Beispiel anzunehmen, wenn besonders schwere Erziehungsdefizite/Verhaltensauffälligkeiten vorliegen, schwere Erkrankungen, schwere Formen von Behinderungen, gleich ob kör-perlicher, geistiger oder seelischer Art bestehen, die gegenüber der „nor-malen Pflege und Erziehung“ besonders beanspruchende Anforderungen an Betreuung und Erziehung des Kindes oder Jugendlichen stellen (…).
Bei (dem Pflegekind) besteht ein solcher Bedarf an erzieherischer Hilfe, die die Verdoppelung des Erziehungsanteiles im pauschalierten Pflegegeld rechtfertigt. Nach Kenntnisnahme des umfangreichen familienpsychologischen Gutachten des psychologischen Sachverständigen K. vom 08.12.03 sowie den Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung ist für das Gericht offensichtlich, dass (das Pflegekind) von seiner Herkunftsfamilie von erheblichen größeren Defiziten geprägt war, wie sie ansonsten bei Pflegekindern zu registrieren sind. Dies zeigt sich sowohl in der erforderlichen Rund-um-die-Uhr-Bewachung des Kühlschranks, um bei den permanent drohenden Fressattacken das regelmäßige „Plündern“ des Kühlschranks zu verhindern, als auch das ausgeprägte delinquente Verhalten (des Pflegekindes), seien es jetzt die regelmäßigen Diebstähle, sei es die einmalige Friedhofsschändung, seien es die ständigen Regelverletzungen in der Schule, die immer wieder zu Rücksprachen von Pflegeeltern und Lehrer zwangen, sowie die Erfordernisse der hier besonders zeitraubenden nachschulischen Betreuung des Kindes. Es ist weiter zu berücksichtigen, dass die Pflegeeltern besondere Aufwendungen wegen der Zerstörungswut (des Pflegekindes) hatten. Nach den Darlegungen der Klägerin im Klageverfahren bezog sich diese sowohl auf Bekleidung als auch auf Wohninventar als auch auf Spielsachen (…).
Aufgrund der motorischen und emotionalen Defizite war von Kindergartenzeit an zahlreiche Therapieformen erforderlich, die auch sämtlich von der Pflegefamilie begleitend wahrgenommen wurden. Dies umfasste u.a. Spieltherapie, heilpädagogische Einzelförderung und heilpädagogische Gruppenförderung, es gab Gestalttherapie, Kinderphysiotherapie sowie eine verhaltenstechnische Interventionstherapie. Es ist die Häufung all dieser Aspekte, die hier zur Annahme eines besonders gelagerten Einzelfalls führt, der eine abweichende Festsetzung des Pflegegeldes (…) rechtfertigt (…).
Für das Gericht ist es deshalb erforderlich, dass der Erziehungsanteil im Pflegegeld angemessen erhöht wird. Diese Angemessenheit sieht die Kammer Genüge getan, wenn der Anteil verdoppelt wird (…).“
Soweit das VG Aachen. Eine vergleichbare Entscheidung hat auch das VG Lüneburg (JAmt 2009, 98 f.) getroffen. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hielt in diesem Fall die Kürzung eines zuvor gewährten erhöhten Pflegegeldes für rechtswidrig, die alleine mit der Volljährigkeit des Pflegekindes begründet war. Es kann also durchaus lohnen, für die Gewährung eines erhöhten Pflegegeldes zu kämpfen bzw. sich gegen dessen Kürzung zu wehren.
Quelle: RA Steffen Siefert