OLG Köln: Zur Prüfung des Kindeswohles bei Pflegestellenwechsel eines Säuglings

Mit Beschluss vom 04.09.2006 (FamRZ 2007, 658 ff.) hat das OLG Köln die Voraussetzungen einer Verbleibensanordnung für einen Säugling bereits nach 3 Monaten Pflegedauer angenommen. Die meisten Gerichte setzten bislang mindestens eine halbjährige Pflegedauer voraus. Das OLG hat jedoch festgestellt, dass es keine unterste Altersgrenze gebe, vor der ein Trennungstrauma für ein Kind bedeutungslos sei. Ausdrücklich schreibt das OLG in den Gründen:

„Die strengen Anforderungen des § 1632 IV BGB, dass ein Verbleiben des Kindes in der Pflegefamilie nur dann anzuordnen ist, wenn durch die Wegnahme das Kindeswohl gefährdet würde trifft den Fall, dass das Kind in die eigene Herkunftsfamilie zurückgeführt werden soll. Darum geht es aber vorliegend nicht. Die Vormünderin hat A. nur aus der bisherigen Pflegestelle herausgenommen, um sie anschließend in einer anderen Pflegestelle, einer Adoptionspflegestelle nach § 1744 BGB, unterzubringen. In einem solchen Fall darf die Trennung des Kindes von seinen bisherigen Pflegeeltern nur dann erfolgen, wenn eine Ge¬fährdung des Kindeswohls nicht zu befürchten ist (Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. BVerfG, FamRZ 1987, 786 mwN).

Eine Gefährdung des psychischen Wohls von A. durch die Herausnahme aus der bisherigen Pflegefamilie kann unter den gegebenen Umständen aber nicht ausgeschlossen werden. In dem der Entscheidung BVerfG, FamRZ 1987, 786 zugrunde liegenden Verfahren sind vom BVerfG Gutachter zu der Frage eingeholt worden, welche psychischen Beeinträchtigungen bei einem Wechsel der Bezugspersonen zu befürchten seien. Der Gutachter hat dazu ausgeführt, die Trennung von der Bezugsperson führe zu einem Angst- und Bedrohungsgefühl, dass schädlich Dauerfolgen verursachen könne. Dabei könne keine unterste Altersgrenze festgestellt werden, vor der ein Trennungstrauma des Kindes ohne Bedeutung sei. Ein Säugling sei schon wenige Tage nach der Geburt in der Lage, selbst früheste Erfahrungen zu speichern. Das BVerfG zieht daraus die allgemeine Folgerung, dass für ein Kind mit seiner Herausnahme aus der gewohnten Umgebung ein schwer bestimmbares Zukunftsrisiko verbunden sei. Dem schließt sich der Senat an. Eine Gefährdung des Kindeswohls lässt sicher daher vorliegend nicht ausschließen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es besonders wichtig ist in A. ein starkes Urvertrauen aufzubauen, da sich nicht ausschließen lässt, dass hier durch massiven Alkohol- und Medikamentenmissbrauch ihrer leiblichen Mutter in der Zeit der Schwangerschaft embryonale Schädigung erlitten hat, diese möglicherweise auf Dauer behindern werden. (…) Hinzu kommt, dass die Pflegeeltern nach 12 Wochen, in denen sie A. als das Kind, das sie auf Dauer bei sich behalten und adoptieren wollen, Bindungen aufgebaut haben. Ob diese Zeitdauer bereits ausreicht, um ein Schutz nach Art. 6 I GG zu begründen (vgl. dazu grundsätzlich BVerfG FamRZ 1985, 39 = NJW 1985, 423; FamRZ 1989, 31 = NJW 1989, 519) kann dahinstehen. Jedenfalls ist es nicht hinnehmbar, dass ihnen nach fast 3 Monaten das Kind weggenommen wird, ohne dass sie sich vorher überhaupt dazu äußern konnten.“

Letztlich wurde das Kind in diesem Fall wieder zu seinen Pflegeeltern zurückgeführt.

Quelle: RA Steffen Siefert

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